Project Description

In der Vergangenheit habe ich ausgiebig über Tarierung geschrieben, aber nachdem ich diese Artikel nochmals gelesen habe, glaube ich, dass der Fokus eher auf dem groben Level der Tarierung und nicht auf den Details lag. Es sind jedoch die winzigen Veränderung die den Unterschied in Bezug auf Tarierung, Gasverbrauch und Effektivität ausmachen. Deshalb dachte ich, ich trage einige Ideen zum Feinschliff der Tarierung zusammen. Das ist hoffentlich für alle interessant, die Ihre Tarierung wirklich in den Griff bekommen wollen.

Allgemeines

Beginnen wir mit einer Verallgemeinerung.

Jeder Taucher ist negativ tariert!

OK, um fair zu bleiben, ist das offensichtlich nicht wahr! Offensichtlich gibt es einige Leute, die neutral austariert tauchen. Es ist nur so, dass ich sie noch nicht getroffen habe. Alle Leute, die bisher zu mir kamen, hatten ausnahmslos Probleme mit ihrer Tarierung und sie waren ausnahmslos negativ tariert.

Woher weiß ich, dass dies er Fall ist? Woher weiss ich, dass jemand negativ tariert ist?

Bringt man diese Leute auf eine Plattform, dann sieht es zunächst so aus, als würden sie über der Plattform schweben ohne sich auf oder ab zu bewegen. Sind sie deshalb neutral tariert? Nach meiner Definition nicht wirklich.

Atemrhytmus

Sieh‘ Dir das folgende Bild an:

Sinuskurve

Betrachte dieses Bild als Dein Atemrhythmus. An der Spitze haben wir die vollständige Einatmung, unten die vollständige Ausatmung. Sie ist regelmäßig, ein und aus. Damit arbeitet die Lunge mit maximaler Effektivität und minimiert den Aufbau des Kohlendioxid.

Was hat das mit Tarierung zu tun?

Meine Definition

Meine Definition der neutralen Tarierung ist folgende:

Ein Taucher, ist dann absolut neutral tariert, wenn er sich in der Mitte seines Atemrhythmus befindet (Atemmittellage) und dabei stationär in der Wassersäule liegt. Er wird aufsteigen, wenn er vollständig einatmet und absinken wenn er vollständig ausatmet.

Hier liegt das Problem. Eine Menge Taucher wissen dies nicht, also kümmert es sie nicht.

Die Standardsituation

Nehmen wir eine typische Situation für Taucher, die an einer Leine abtauchen. Auf dem Weg zu Grund, erscheint ein Wrack aus der Dunkelheit. Um nicht auf dem Wrack aufzuschlagen, pumpen sie eine Menge Gas in ihr Jacket oder Wing. Leider sind die Sichtverhältnisse nicht immer so gut, um rechtzeitig mit dem befüllen zu beginnen. Manche Taucher haben sogar Angst, zuviel Gas in Ihr Jacket zu geben. Was machen sie also um nicht aufzuschlagen? Sie atmen tief ein und halten die Luft an. Sie schweben dann bewegungslos über dem Wrack. Sie sind zu diesem Zeitpunkt nicht neutral tariert.

Soweit ist daran nichts einzuwenden, solange als nächstes eine Anpassung der Tarierung folgt. Diese Anpassung ist notwendig, damit sie wieder in der Atemmittellage neutral tariert sind.

Leider wird dies aus mehreren Gründen nur selten gemacht. Zunächst sind die Taucher zu diesem Zeitpunkt leicht überlastet. Sie haben ein Wrack vor sich, müssen Ihre Position halten, Ihren Tauchpartner finden usw. Sie sind durch Ihre Beobachtungen abgelenkt. Es endet damit, dass sie in der oberen Hälfte Ihres Atemrhytmus atmen. Das ist ein sehr ineffektiver Weg zu atmen. Unser Gehirn bemerkt dies sehr schnell und schaltet einen mentalen Filter ein. Die Leute atmen nun wissentlich in der oberen Hälfte weiter. Es benötigt sehr wenig Kapazität, aber sie benötigt Kapazität.

Wenn diese Taucher vergessen auf diese Art zu atmen, atmen sie aus, passieren die Atemmittellage und werden negativ tariert. Dies kann man bei Leuten beobachten, die hin und wieder eine Hand oder nur einen Finger zum abstützen verwenden. Sie werden nicht direkt nach unten gedrückt. Sie sind nur sehr leicht negativ tariert. Überprüfe dies mal bei Dir selbst und anderen Tauchern. Du wirst überrascht sein. Manche verwenden die ganze Hand um sich abzustützen und wieder nach oben zu drücken, andere stützen sich alle paar Minuten mit dem Finger ab, wenn sie abdriften. Das dahinter liegende Problem ist in beiden Fällen das gleiche.

Man kann das auch bei Tauchern beobachten, die scheinbar neutral tariert sind, aber sofort absinken, sobald eine weitere Aufgabe hinzukommt. Sie haben dann keine freie Kapazität, in ihrem derzeitigenen Atemrhythmus weiter zu atmen. Das autonome Nervensystem übernimmt den Job, sie atmen aus und sinken ab.

Das oben genannte Beispiel des initialen Abstiegs und der fehlerhaften Tarierung ist aber nur ein Teil des Problems. Das gleiche passiert auch, wenn der Taucher seine Tiefe während des Tauchgangs ändern muss, z.B. weil er über ein Teil des Wracks schwimmen muss. Er führt diese Änderung nur grob mit dem Jacket oder Wing durch. Die Feinjustierung geschieht unbewusst über die Atmung.

Bei vielen Tauchgängen konnte ich auch mentale Probleme beobachten. Für viele ist es sehr komfortabel leicht negativ tariert zu sein. Bei vollständiger Einatmung sind sie perfekt neutral tariert, und vollständig ausgeatmet sind sie leicht negativ. Das bedeutet, sie werden nicht in die Höhe schießen. Das kann sehr gut forciert werden, indem man diese Taucher bittet sich neutral auszutarieren. Normalerweise berichten sie dann von einem Gefühl der Leichtigkeit oder das sie zur Wasseroberfläche driften. Ein aufgenommenes Video zeigt ihnen dann aber, das sie lediglich schweben.

Auch das Umgekehrte trifft zu, wenn auch deutlich seltener. Einige Taucher sind immer leicht positiv tariert. Wie gesagt, dass ist viel seltener der Fall.

Ohne alle bereits geschriebenen Artikel zu wiederholen, und mit dem zu Beginn genannten Vorbehalt, dass dies vielleicht nur Leute interessiert, die Ihre Tarierung in den Griff bekommen wollen, möchte ich kurz zusammen fassen, dass dies ein Problem ist und wir das Problem lösen sollten. Um es auf den Punkt zu bringen bedeutet es, dass die Leute sich auf Ihre Atmung fokussieren, anstatt auf den Tauchgang und sie riskieren den Verlust der Tarierung sobald sie abgelenkt werden.

Wie kann das Problem gelöst werden?

Zunächst müssen wir einen historischen Fehler hinter uns lassen. Ich spreche hier von der Aussage: „Niemals den Atem anzuhalten“. Das ist natürlich ein notwendiges Übel für Tauchanfänger, ist aber für erfahrene Taucher non-sense. Diese Regel ist bei vielen Verbänden in den Ausbildungsunterlagen zu finden und wird oft als „Erste“ oder „Goldene“ Regel bezeichnet.

Vom physiologischen Standpunkt aus betrachtet ist diese Regel albern. Es sollte keine Rolle spielen die Luft anzuhalten, wenn man neutral austariert ist. Eine viel bessere Regel wäre: „Bei Aufstiegen immer normal weiteratmen“.

Gehen wir mal davon aus, Du hälst Deinem Atem derzeit an. Keine Angst, ich werde Dich nicht verraten. Es gibt uns die Möglichkeit einen kleinen Tariertest durchzuführen. Entspanne Dich und nimm einen normalen Atemzug. Stell‘ sicher, das Du normal atmest. Nach ein paar normalen Atemzügen lässt Du die Hälfte der Luft aus Deinen Lungen entweichen und hältst dann die Luft an. Stopp! Du musst ja wohl absolut verrückt sein, die Hälfte Deiner Luft auszuatmen. Dein Instinkt sagt Dir, weniger als die Hälfte auszuatmen, was natürlich hilft, das Problem aber nicht löst. Versuche es nochmal. Dieses mal stell‘ sicher, dass Du nicht zum Ausgleich mit Armen oder Beinen ruderst. Halte still. Sobald Du eine Idee davon hast, wo die Hälfte ist, schau Dir an was mit Dir passiert wenn Du die Luft anhältst. Geht es nach oben? Wetten nicht! Sinkst Du ab? Bestimmt nicht!

Mini Tariercheck

Ich bezeichne das als „Mini Tariercheck“. Ich mache diesen Test am Grund einer Leine und immer wenn ich die Höhe während des Tauchgangs ändere. Während des Aufstiegs mache ich ihn wenn ich die Dekompressionsstufen erreiche.

Auf diese Art neutral tariert zu sein, reduziert den Stresslevel dramatisch, besonders während der Dekostopps, wo Du Gaswechsel usw. durchführen musst. Es bedeutet, Du kannst Abstiege durch einfaches ausatmen und Aufstiege durch einfaches einatmen einleiten. Wobei Du hierbei aufpassen musst, nur solange die Luft anzuhalten, bis Du anfängst Dich in Bewegung zu setzen.

Das nächste Mal, wenn Du also bewegungslos schwebst und denkst, dass Du neutral austariert bist, nimm‘ Dir einen Moment Zeit und prüfe ob Du es wirklich bist.